Kerkrade | Frankenberg/Sa. Am Sonntag, dem 9. Juli, einen Tag nach dem Wettbewerbsvortrag, endete für uns Musiker mit der Ankunft in Frankenberg/Sa. der lang ersehnte Jahreshöhepunkt mit der Brass Band Sachsen: die erstmalige Teilnahme an der 4. Brass-Band-Weltmeisterschaft im Rahmen des World Music Contest (WMC) in Kerkrade (Niederlande). Hinter allen Beteiligten liegen sehr anstrengende, erfahrungsreiche aber insbesondere menschlich wundervolle Tage.
Die Vorbereitungswoche
In Vorbereitung auf dieses Event fanden wir Musiker der Brass Band Sachsen uns bereits eine Woche zuvor in Frankenberg/Sa. individuell bestens vorbereitet zusammen, um fünf Tage intensiv auf die bevorstehende Herausforderung hinzuarbeiten, denn unser überwiegend aus Amateurmusikern bestehendes Ensemble trifft sich sonst lediglich an fünf bis sechs Wochenenden im Jahr. Für die Entwicklung eines kompakten Brass-Band-Klanges auf internationalem Wettbewerbsniveau sind diese logischerweise nicht ausreichend.
Unser Chefdirigent Eoin Tonner (25, Schottland) reiste demnach bereits am 2. Juli zu uns nach Sachsen. An jenem Sonntag stiegen wir mit einem Tuttitag ein, um uns nach fast drei Monaten Pause – das letzte Konzert fand Ende April statt – einander musikalisch wieder anzunähern. Der Montag und Dienstag der Vorbereitungswoche war insbesondere durch Registerproben an den Wettbewerbswerken geprägt, in denen der kompakte, ausgewogene Klang innerhalb jeder einzelnen Section herausgearbeitet, aber natürlich ebenso besonders verzwickte Stellen unter die Lupe genommen wurden. Mittwoch und Donnerstag fügte unser musikalischer Leiter schließlich die im Kleinen erlangten Probenergebnisse zu einem Großen und Ganzen zusammen. Dabei wurde natürlich von früh bis spät abends jede Minute genutzt, um jedes noch so feine Detail herauszuarbeiten. Mit jeder Minute, die wir Musiker zusammen probten, ergaben sich immer mehr Automatismen, die immer mehr Passagen zur Selbstverständlichkeit werden ließen.
Am Donnerstagabend des 6. Juli simulierten wir schließlich den Ernstfall und präsentierten das Resultat der vergangenen, arbeitsintensiven Tage vor gut 450 begeisterten Zuhörern im Rahmen des Eröffnungskonzertes des 10. Frankenberger Stadtfestes in der St.-Aegidien-Kirche. Das Fazit der Vorbereitungswoche war aus Musikersicht ein grundsätzlich positives, obschon wir wussten, dass bei dieser höchst anspruchsvollen Literatur die Konzentration sowie der Fokus jedes einzelnen Musikers auf den Punkt maximal sein muss, damit uns die Jury mit entsprechend hohen Punkten bedenken kann.
Aufbruch nach Kerkrade
Am darauf folgenden Tag brach der Tross der Brass Band Sachsen seine Zelte in Frankenberg/Sa. ab und setzte sich bei Anbruch der Morgendämmerung mit dem Bus in Richtung Kerkrade in Bewegung. Auf der etwa achtstündigen Fahrt konnten wir uns ein wenig der in dieser Woche kumulierten Müdigkeit entledigen und blickten in Gesprächen gespannt auf die beiden vor uns liegenden Tage.
Wir fuhren jedoch nicht gleich direkt nach Kerkrade, sondern bezogen zunächst unsere beiden Teamhotels in dem in der Nähe gelegenen Eschweiler, welches sich als ein schmuckes, ruhiges Städtchen im äußersten Westen Nordrhein-Westfalens entpuppte und dessen Innenstadt bis zu unserer finalen Anspielprobe am Abend vor dem Wettbewerb zum Verweilen einlud.
Diese fand an einem interessanten Ort, genauer in einem kleinen Club mit Diskothekflair nahe des Marktes, statt. Bereits letztes Jahr am Vorabend der European Brass Band Championships musizierten wir die letzten vorbereitenden Töne in dem Frühstücksraum unserer dortigen Hotelunterkunft. Am selben Tag angereist war auch der englische Komponist unseres Selbstwahlstückes, Jonathan Bates, welcher als langjähriger Solohornist der Black Dyke Band in der Brass-Band-Szene hinlänglich bekannt sein dürfte. Er wollte die Wettbewerbsuraufführung seines Werkes am Samstag live miterleben und ließ es sich auch nicht nehmen unserer Probe zu lauschen.
Nach einem kräftigenden Frühstück am Samstagmorgen reisten wir die etwa halbstündige Strecke in das Zentrum der Bläsermusikfestivitäten nach Kerkrade. Es sollte ein heißer Samstag, sowohl aus musikalischer wie auch meteorologischer Sicht, werden. Die Anreise musste extra zeitig erfolgen, da noch keine der teilnehmenden Brass Bands wusste, wann sie ihren Wettbewerbsvortrag spielen darf. Bei einem ersten Startplatz müssten wir uns schließlich sofort zum Einspielen begeben.
Beim Hineinfahren des Busses in die Stadt fühlte man sich als Musiker sofort willkommen, denn an quasi jedem schmuck ausschauenden, roten oder grauen Backsteinhaus waren Fahnen, Schleifchen sowie farbenprächtige Blumen des WMC gehisst beziehungsweise aufgehangen. Man wusste sofort, dass hier ein großes Event stattfinden würde. Überhaupt hatten wir das Gefühl, dass sich die Stadt und ihre Bürger gemeinsam auf das dreiwöchige Festival, welches lediglich aller vier Jahre stattfindet, zu freuen schienen. Aus eigener Erfahrung insbesondere bei nationalen Orchestervergleichen ist die Begeisterung der Bevölkerung der Ausrichterstadt eher verhalten und allenfalls an der Konzerthalle selbst entdeckt man ein kleines Plakat oder eine Fahne, welche auf die Veranstaltung hinweisen. Schlussendlich erreichte unser Bus die Rodahal, in welcher die 4. Brass-Band-Weltmeisterschaften der 1. Division sowie der Championship Section stattfinden sollten.
Die Auslosung
Unser organisatorischer Leiter Martin Lesser begab sich umgehend zu der um 9 Uhr anberaumten Auslosung und berichtete uns Musikern aus erster Hand, von den einzelnen Ziehungen. Gewöhnlich gehen die Brass Bands mit einer gewissen Erwartung an die Auslosung heran, welche darin besteht, bei einem solch größeren Teilnehmerfeld nicht die ersten sowie die letzten Plätze zugelost zu bekommen, da sie hinsichtlich der fehlenden Vergleichbarkeit am Anfang beziehungsweise der nachlassenden Konzentration der Jury am Ende weniger Punkte bedeuten könnten.
Schließlich wurden wir auf den achten von elf Startplätzen positioniert. Vor uns sollte mit der Spijkerbakkenband, ein Klangkörper, welcher, wie sein Name verrät, komplett in Jeanskleidung auftritt, ein Favorit auf den Sieg musizieren. Nach uns folgte die Brass Band Emmental aus der Schweiz, welche ebenso aussichtsreich in den Vergleich ging. Generell war uns Musikern der Brass Band Sachsen eine genaue Leistungsdifferenzierung der Bands in unserer Kategorie nicht wirklich klar, da wir die meisten Bands, selbst deren Namen, vorher noch nie gehört hatten. Einig waren wir uns hingegen definitiv, dass alle exzellent vorbereitet kommen würden. Aber schlussendlich mussten wir uns wie bei jedem Wettbewerb auf uns selber konzentrieren und auf unsere Stärken vertrauen.
Der achte Startplatz bedeutete eine etwa sechsstündige Wartezeit, die bei immer größer werdender Hitze länger und länger zu werden schien. Zudem sollte der Wettbewerb schnell eine Stunde Verspätung haben, was durch relativ freie Auf- und Umbauzeiten für die Bands begründbar war. Bei den European Brass Band Championships herrscht hingegen ein wesentlich anderer Wind hinsichtlich der Einhaltung des Zeitplans. Schließlich müssen bis zum Galakonzert um 8 Uhr abends sechs Bands in der Challenge und zwölf Bands in der Championship Section ihren Beitrag auf der Bühne zeigen.
Demnach mussten wir uns selber beschäftigen. Neben Fußball sowie Skat spielen, sich sonnen, schlafen und sich einige Bands anhören, nahmen die meisten Musiker die Möglichkeit wahr, die Stadt näher zu erkunden. Der Weg von der Rodahal bis zum Markt der Stadt war in wenigen Minuten fußläufig erreichbar. Kleine Cafés und Restaurants luden zum Verweilen ein. Auf dem Markt war eine riesige Bühne aufgebaut, auf der später am Tag Musik eines sinfonischen Blasorchesters erklingen sollte. Auch hier prägten an jedem zweiten Balkon Fahnen sowie viel bunte Blumen die Stadtkulisse.
Vor dem Wettbewerbsvortrag
Etwa eine Stunde vor unserem Wettbewerbsbeitrag trafen wir uns am Künstlereingang. Für jede Band standen zwei große Baucontainer für die Lagerung der Instrumentenkoffer und das Umziehen zur Verfügung. Hier hatten wir Glück, dass es draußen sonnig war, denn zwei Container waren für die gesamte Band eigentlich ein wenig zu klein. Verwunderlich, dass solch ein großer Veranstaltungssaal keinen Platz für drei oder vier Bands gleichzeitig stellen kann.
Langsam stieg die Anspannung, denn wir vier Schlagwerker wurden nun mit all unseren selbst mitgebrachten Instrumenten hinter die Bühne gebracht. Somit trennte sich unser Weg von den Bläsern, welche auf einem anderen Weg in einen separaten, großen Einspielraum gebeten wurden.
Hinter der Bühne im Backstagebereich stehend, konnten wir noch den letzten Tönen der als Sechste gestarteten Band lauschen. Wahnsinnige Läufe und Klangschichtungen machten jetzt noch mehr Lust, endlich auf der Bühne zu starten. Aber bereits erwähnte Spijkerbakkenband musste noch ihren maximal 40-minütigen Wettbewerbsbeitrag bestreiten. Sie wählten, neben dem für alle zu spielenden Pflichtstück „Dance and Arias“ von Edward Gregson, mit „Music of the Spheres” von Philip Sparke einen echten Klassiker der Brass-Band-Literatur. Bis auf beim Wettbewerb immer mögliche, kleine Wackler überzeugten uns die MusikerInnen zumindest von der Position hinter der Bühne immens. Der Beifall des leider sehr spärlich gefüllten Publikumraumes war dementsprechend frenetisch. Der Zuschauerzuspruch bei der Challenge Section der European Brass Band Championships war im letzten Jahr bedeutend größer.
Als die ausreichende Zahl an engagierten und kompetenten Helfern die Türen zur Bühne öffneten und sich an das Ab- und Umbauen des Schlagwerkes machten, waren wir doch ein wenig übermannt von der schier endlosen Breite und Tiefe der Bühne – klar, hier sollten schließlich auch einige Wochen später riesige, sinfonische Blasorchester Platz nehmen können. Da kann sich so eine Brass Band schon einmal darauf verlieren.
Was wir fast erwartet haben, wurde schließlich Realität: was die ersten Bands sich zum Aufbau Zeit ließen, wollte bei unserem Aufbau wieder an Zeit reingeholt werden. Demnach wurde es analog zu den European Brass Band Championships sehr hektisch, was wir aber durch einen üblicherweise exzellent vorbereiteten Schlagwerkaufbauplan kompensieren konnten. Bis auf die letzte Sekunde verfeinerten wir die Positionen der einzelnen Ständer. Es besteht bei den großen Wettbewerbsbühnen immer die Gefahr zu breit auseinander und zu weit weg von den Bläsern zu sitzen, was eine unnötige Schwierigkeitskomponente hineinbringt.
Schließlich waren wir Schlagwerker auf der einen Bühnenseite stehend bereit und schwörten uns noch einmal energetisch ein. Auf der anderen Seite liefen bereits die Bläser auf die Bühne. Die draußen vorherrschende Hitze war nun auch in den Saal gedrungen und auch die Scheinwerfer auf der Bühne sorgten für ein ordentliches Saunabad bereits vor dem ersten Ton.
Der Wettbewerbsvortrag
Jetzt hieß es, all das abzurufen, was wir in all den vergangenen sechs Monaten und speziell der zurückliegenden Vorbereitungswoche erarbeitet haben unter der musikalischen Leitung unseres Chefdirigenten Eoin Tonner (25, Schottland).
Wir starteten mit dem bereits erwähnten Pflichtstück „Dances and Arias“ von Edward Gregson (vgl. Beitrag WMC Kerkrade 2017: Das Pflichtstück). Nach der anfänglichen Anpassungsphase der Band an die unbekannte Akustik trugen wir das Werk energiegeladen vor. Aufmerksamkeit in der Fachszene erregten wir anschließend mit der eingangs erwähnten Uraufführung des von der Vereinigung Sächsischer Blechbläser e.V. in Auftrag gegebenen Selbstwahlwerkes „Red October: Symphony for Brass Band“, welches die Lebensumstände von Sergej Rachmaninow zu Zeiten der russischen Oktoberrevolution 1917 darstellt (vgl. Beitrag WMC Kerkrade 2017: Das Selbstwahlstück). Der Komponist des Werkes, Jonathan Bates, zeigte sich nachher frenetisch jubelnd sowie sichtlich bewegt und dankbar.
Wie in meinem Vorbericht zum Selbstwahlstück geschrieben kommt in dem Werk ein Hang zum Einsatz, welches vom Publikum das erste Mal gehört wurde. In all unseren Konzerten im Vorfeld sah man mich spielen, aber man hörte das Instrument nicht. Schließlich ist dieses eigentlich nicht in Orchesterformationen übliche Instrument dynamisch begrenzt, möchte man nicht nur ein unsensibles Schlagen auf einen Kochtopf hören und das pianissimo der Band ist ebenso begrenzt.
Der Wettbewerbsvortrag ist vorüber
Nach dem Vortrag fiel alle Anspannung ab und wir stellten uns dem frenetischen Applaus des Publikums inklusive wehender Sachsenfahne. Wir gingen von der Bühne ab und trafen uns zu einer kleinen After-Show-Party an unseren Umkleidekabinen vor der Rodahal. Es begann das übliche Austauschen der Meinungen zum Vortrag untereinander. Jeder wusste für sich, was schief gegangen war, aber zufrieden mit unserer Gesamtleistung konnten wir auf alle Fälle sein. Alleine der lange Weg, ein völlig neues Werk der Championship Section erarbeitet und beim Wettbewerb auf die Bühne gebracht zu haben, hat die Band ein ganzes Stück weiter zusammenrücken lassen und nach vorn bringen können.
Zu einem sehr guten Ergebnis müssen schlussendlich viele Komponenten auf den Punkt zusammenpassen. Nach Auffassung der Jury war dies nicht voll umfänglich der Fall, sodass am Ende von elf teilnehmenden Brass Bands der siebente Platz für die Brass Band Sachsen stehen sollte. Gewinner der 1. Division wurde die Brass Band Oefening en Uitspanning aus der Niederlande. Das Ergebnis stellt für das Ensemble eine Standortbestimmung im Rahmen des Entwicklungsprozesses der Band dar und motiviert die MusikerInnen dazu, noch intensiver an den Kritikpunkten zu arbeiten.
Im Namen der Vereinigung Sächsischer Blechbläser e.V. danken wir unseren schottischen sowie englischen Gästen, welche uns in diesem Jahr musikalisch unterstützt haben.
Die Brass Band Sachsen startet nach einem weiteren, traditionell ereignisreichen ersten Halbjahr in ihre Sommerpause und läutet mit einer Probenphase Ende September die neue Saison 2017/18 ein, welche ganz im Zeichen der Vorbereitung auf die Deutsche Brass-Band-Meisterschaft im Mai kommenden Jahres erneut in Bad Kissingen steht.
Thomas Schneider
Schlagwerker Brass Band Sachsen
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